22.09.2020

Chancengerechtigkeit

Stimmen aus dem Girls Camp

Vom 07. bis 14. September trafen sich 14 junge Informatikerinnen in Vaumarcus, Neuenburg, um im Rahmen des "Girls Camp" der Schweizer Informatik-Olympiade (SOI) gemeinsam zu programmieren. Wir haben einige von ihnen gefragt, was sie im Lager gelernt haben, welche Bedeutung die Informatik für ihre Zukunft hat und was sie von Informatik-Angeboten nur für junge Frauen halten.

Die Teilnehmerinnen des Girls Camp (Alle Fotos: Informatik-Olympiade).

Teilnehmerin Priska Steinebrunner, welche die Interviews geführt hat, mit Leiterin und EGOI-Organisatorin Stefanie Zbinden (rechts).

Angelika 

Konntest du schon vor dem Girls Camp programmieren?

Ja. Aber hier habe ich in einer Woche mehr gelernt als in einem Jahr in der Schule!

 

Was sind deine Zukunftspläne?

Ich werde wahrscheinlich nicht Informatik studieren, sondern Medizin in Genf oder Lausanne. Aber ich denke, wenn man sich nicht sicher ist, ob man Informatik studieren will, dann bekommt man in diesem Lager sicher einen guten Eindruck. Informatik ist eigentlich nicht mein Lieblingsfach, daher werde ich wohl auch nicht an der SOI teilnehmen, aber ich bin froh, dass ich hier dabei war. Wenn einem die Leiterinnen und Leiter etwas erklären, und man das dann selbständig anwenden kann, ist das ein tolles Gefühl!

 

Dieses Lager ist nur für junge Frauen, und die Leiterin Stefanie Zbinden hat uns auch von der European Girls Olympiad in Informatics (EGOI) erzählt, welche nächstes Jahr zum ersten Mal in Zürich stattfindet. Was denkst du über solche Anlässe?

Ich denke, dass solche Anlässe eine gute Idee sind. Für mich persönlich ist es kein Problem, in Konkurrenz mit Jungs zu treten, aber ich weiss, dass es für viele Mädchen motivierend ist, wenn sie unter sich sind. Üblicherweise trifft man in der Informatik und den Naturwissenschaften weniger Frauen als Männer. Also finde ich es gut, wenn es in der Wissenschaft solche Angebote für Frauen gibt.

 

 

Vivienne

Welche Fortschritte hast du diese Woche gemacht?

Ich habe viele neue Algorithmen kennengelernt und sie auch implementiert. Bei den ersten paar Versuchen brauchte ich oft Hilfe, danach habe ich möglichst selbstständig gearbeitet.

 

Was gefällt dir am Girls Camp? Warum nimmst du an Anlässen der SOI teil?

Das Training ist seriös, aber es wird trotzdem nie trocken oder langweilig. Wir haben Spass, zum Beispiel, wenn man während einer Coding Session einen lustigen Bug entdeckt und dann mit den anderen darüber lachen kann. Das Gemeinschaftsgefühl ist gut und es ist nicht allzu kompetitiv. Natürlich willst du bei Contests gut sein, aber es geht darum, dass du dein Bestes gibst, nicht, dass du jemand anderen schlägst. Es ist toll, neue Leute kennenzulernen, aber auch, Leute wieder zu treffen, die man bereits von anderen SOI-Anlässen kennt.

 

Glaubst du, dass es in einem Lager für Mädchen noch leichter ist, Bekanntschaften zu machen?

Ja, das würde ich schon sagen. Ich war schon im SOI-Lager in Sarnen, und dort war ich mehrheitlich mit den weiblichen Teilnehmerinnen unterwegs. Ich finde Anlässe wie das Girls Camp gut, weil ich glaube, dass viele Mädchen bei Wettbewerben wie der Informatik-Olympiade sonst nicht mitmachen, weil sie das Gefühl haben, sie seien schlechter oder es sei nichts für sie – was einfach nicht stimmt! Ich glaube auch, dass die EGOI da sehr motivierend ist. Für mich ist dieser internationale Wettkampf auf jeden Fall ein Ansporn.

 

Was war dein persönliches Highlight der Woche?

Die Nacht, als wir im Gras lagen und die Sterne betrachteten, war sehr schön. Wir haben die Milchstrasse und den Mars gesehen, und der Mond war ganz rot.

 

 

Sonja und Anda

Wie gefällt euch das Girls Camp?

Sonja: Es ist sehr schön hier und alle haben es gut miteinander. Dass Leute aus der ganzen Schweiz, auch aus anderen Sprachregionen, hier sind, macht es sehr interessant. Wir haben zum Bespiel darüber gesprochen, wie der Informatikunterricht an verschiedenen Schulen aussieht. 

 

Wie ist das Girls Camp im Vergleich zur Schule?

Anda: In der Schule sind halt nicht alle gleich motiviert, dann dauert es länger, bis man eine Aufgabe gelöst hat.

Sonja: Dort haben wir auch nur zwei Stunden pro Woche, hier üben wir sechs Stunden pro Tag. Ich habe hier viel darüber gelernt, wie ich analytisch ein Problem lösen kann. Wir haben davor auch beide noch nie mit C++ programmiert, nur mit Python.

 

 

Was haltet ihr von Anlässen wie dem Girls Camp oder der EGOI, die sich spezifisch an junge Frauen richten?

Anda: Wenn du dich für Informatik interessierst, aber noch nicht so viel Erfahrung hast und es einfach mal ausprobieren würdest, dann kann es schon einschüchternd sein, dass an gemischten Anlässen meist mehr Jungs teilnehmen. Du könntest das Gefühl haben, dass du dann "die Schlechteste" bist, wenn du teilnimmst.

Sonja: Informatik wird als "typische Männerdomäne" wahrgenommen. Anlässe wie die EGOI können die Hemmschwelle für Neueinsteigerinnen senken und schaffen auch Vorbilder, die jungen Frauen zeigen: Das kann ich auch!

 

Werdet ihr nach der Erfahrung im Girls Camp an der SOI teilnehmen oder sogar Informatik studieren?

Sonja: Ich werde mir die Aufgaben der ersten Runde sicher zumindest anschauen, weil ich gerne knoble. Aber ich nehme mir jetzt nicht vor, in die Finalrunde zu kommen.

Anda:  Ich bin mir noch nicht sicher, was ich studieren will, aber ich werde definitiv auch in meiner Freizeit weiterhin programmieren, weil es einfach Spass macht.

 

 

Maren

Wie gefällt dir das Girls Camp?

Ich bin positiv überrascht davon, wie aufgeschlossen die anderen Teilnehmerinnen sind. Die Spiele am Abend und die Sport-Pausen sind ein guter Ausgleich. Wenn man die ganze Zeit nur vor dem Computer sitzen würde, würde man mit der Zeit wohl die Lust verlieren.

 

Ist das Girls Camp sehr streng?

Es ist eine Herausforderung, aber ich würde es nicht als "streng" bezeichnen, weil du ja selbst entscheiden kannst, wie sehr du dich herausfordern willst. Es gibt keine Abgabefrist wie in der Schule, wir sind hier, weil wir aus eigenem Antrieb etwas lernen wollen. Es werden andere Aspekte der Informatik behandelt. Ich mag den Informatikunterricht in der Schule, aber Informatik ist ein eher neues Schulfach und hat daher noch Verbesserungspotential.

 

Was hältst du davon, dass das Girls Camp nur für Mädchen ist?

Jungs und Männer sind in der Wissenschaft in der Überzahl. Das kann entmutigend wirkend, also ist es cool, sich mal nur mit anderen Mädchen zu messen. Ich glaube nicht, dass Mädchen weniger leisten können als Jungs, aber in der Gesellschaft existiert dieses Vorurteil immer noch.

 

Wirst du bei der SOI weitermachen und an der ersten Runde teilnehmen? Hast du Ambitionen?

Ja, es macht Spass! Solange ich mein Bestes gegeben habe, bin ich mit meinem Resultat zufrieden. Wenn ich dann auch noch eine Runde weiterkomme, ist das eine zusätzliche Belohnung. Ausserdem kann ich ja nächstes Jahr nochmal teilnehmen und dann versuchen, mit zu verbessern.

 

 

Elina und Joanne

Mit welchen Erinnerungen verlässt ihr das Girls Camp?

Joanne: Ich werde mich sicher noch lange an den Tag erinnern, an dem wir im See schwimmen gegangen sind. Und natürlich daran, dass ich so viel über Informatik gelernt habe. Zum Beispiel weiss ich jetzt, was Binary Search ist. Ich bin als Anfängerin ins Girls Camp gekommen. Es gibt immer noch viel zu lernen, aber ich habe während dieser Woche grosse Fortschritte gemacht.

Elina: Ich werde mich an das Lager allgemein erinnern, weil ich hier wirklich eine gute Zeit hatte.  Ich mochte die Leute, die Spiele, die Atmosphäre …  Ich hoffe, dass ich auch mein neues Informatik-Wissen nicht vergesse. Ich bin ebenfalls eine ziemliche Anfängerin und habe viel Neues gelernt.

 

Wie unterscheidet sich das Lernen im Girls Camp vom normalen Schulunterricht?

Elina: Ich glaube, hier im Lager waren die Leute motivierter. In einem normalen Schullager würden sie wohl nicht bis spät am Abend freiwillig weiterarbeiten.

Joanne: Wenn wir Fragen haben, helfen uns die Leiterinnen und Leiter, aber sonst arbeiten wir wirklich sehr selbstständig.

 

 

Wie findet ihr es, dass es ein solches Lager für junge Frauen gibt?

Elina: Ich finde das sehr wichtig. Wir denken, in unserer Gesellschaft herrsche Gleichstellung, aber in Wirklichkeit hat diese Veränderung viele Bereiche noch nicht erreicht.

Joanne: Es macht auch einfach Spass, mit all den anderen Mädchen hier zu sein!

 

Habt ihr hier etwas gelernt, das für euch in Zukunft nützlich sein wird?

Joanne: Ich würde gerne Wirtschaft studieren, und Informatik-Wissen ist sehr nützlich, wenn man zum Beispiel Daten analysieren muss.

Elina: Ich hoffe, dass ich meine Fähigkeiten in Informatik bald zur Visualisierung einiger mathematischer Probleme einsetzen kann, die ich in meiner Freizeit zu lösen versucht habe. Oder auch bei der Jobsuche oder um anderen zu helfen. Ich habe viele Zukunftspläne: Nach meiner Matura möchte ich ein Zwischenjahr im Ausland machen und dann vielleicht Mathematik studieren.

 

Werdet ihr nach eurer Erfahrung im Girls Camp auch an der SOI teilnehmen?

Elina: Es ist sicher eine tolle Erfahrung, also warum nicht.

Joanne: Ich weiss nicht, ob ich schon gut genug bin, aber einen Versuch ist es wert!

 

 

 

Die European Girls’ Olympiad in Informatics (EGOI) ist eine neue Informatik-Olympiade für junge Frauen, die von Freiwilligen der Schweizer Informatik-Olympiade initiiert wurde. Die erste EGOI ist für den 13. bis 19. Juni 2021 geplant. Delegationen aus voraussichtlich 24 europäischen Ländern werden sich an der ETH Zürich eine Woche lang der Informatik widmen.

 

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