16.11.2020

Freiwilligenarbeit | Nachhaltigkeit

Engagiert: Nitya, Umweltaktivistin

Freiwilligenarbeit, Schule, Wissenschafts-Olympiaden: Nitya Rajan bringt alles unter einen Hut. Sie engagiert sich als Co-Präsidentin des Vereins Macrocosm für eine nachhaltige Zukunft.

"Freiwilligenarbeit ist Arbeit, aber sie ist es wert", findet Nitya. (Alle Bilder: Claudia Christen).

Der Innenhof des Collège St. Michel ist Nityas Lieblingsort an der Schule. (Alle Bilder: Claudia Christen).

Immer mehr Leute in deinem Alter entwickeln ein Bewusstsein für die Umwelt, insbesondere für die Klimakrise. Viele demonstrieren im Rahmen der Bewegung Fridays for Future. Was würdest du zu jemandem sagen, der behauptet, dass der Aktivismus junger Menschen "nur ein Trend" sei?

Ich denke, es gibt schon einige Leute, die sich am Klimastreik beteiligen, um die Schule zu schwänzen, und sich ansonsten umweltschädlich verhalten. Das ist ein Problem, denn dadurch wird eine heuchlerische Haltung mit einem sehr ernsten Thema in Verbindung gebracht. Der Klimawandel selbst ist nicht "nur ein Trend". Neulich habe ich eine Wanderung auf dem Aletschgletscher unternommen, der jährlich um 20 Meter schrumpft. Die Menschen müssen begreifen, dass der Klimawandel real ist, und dass er menschengemacht ist. Weltweit findet ein Umdenken in diese Richtung statt, und wenn dies die Leute tatsächlich dazu bringt, ihr Verhalten zu ändern, dann ist das ein Trend aber ein positiver! Zu sehen, wie sich eine Bewegung bildet und an Kraft gewinnt: Das motiviert mich.  Vor 40 Jahren wäre mein Engagment viel schwieriger gewesen, weil mir weniger Menschen geglaubt hätten.

 

Freiwilligenarbeit ist Arbeit, aber sie ist es wert.

 

Du bist Co-Präsidentin des ökologischen und humanitären Schülervereins  Macrocosm an deiner Schule, dem Collège St. Michel. Mit welchen Massnahmen verbessert Macrocosm die Welt?

Macrocosm wurde 1985 von einem Lehrer des Collège St. Michel gegründet. Es begann als Fundraising-Organisation, und bis heute ist dies unser Hauptzweck. Wir arbeiten mit anderen Organisationen zusammen und sammeln Spenden für sie. Unser Ziel ist es, auf drei Ebenen zu helfen. Erstens auf der Ebene der Schule. Wir wollen Abfall, Stromverbrauch und CO2-Emissionen an unserer Schule reduzieren. Die zweite Ebene ist die lokale Ebene. Wir sammeln Spenden für verschiedene NGO's in Fribourg, oder gehen zum Beispiel durch die Strassen und sammeln Abfall. Einmal haben wir mit der Organisation Fribourg solidaire zusammengearbeitet. Entstanden ist eine Präsentation für ein breites Publikum zu den  Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung . Auf internationaler Ebene sammeln wir Gelder für Organisationen ausserhalb der Schweiz. Der letzte Verein, mit dem wir zusammengearbeitet haben, heisst  Emaua und hilft den Menschen in Kenia, ihren Lebensunterhalt durch das Pflanzen von Bäumen zu sichern.

Nitya Rajan ist 18 Jahre alt und absolviert derzeit das letzte Gymnasialjahr am Collège St. Michel in Fribourg. In ihrem ersten Jahr am Collège trat sie dem Verein Macrocosm bei, der sich für Umweltschutz und humanitäre Zwecke einsetzt. Vor über einem Jahr wurde sie Co-Präsidentin. Nitya hat an der Philosophie- und Biologie-Olympiade teilgenommen. Nach der Schule plant sie, Medizin zu studieren.

 

Schule, Olympiaden, freiwilliges Engagement - das ist eine Menge! Hattest du jemals Schwierigkeiten, all deine Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen? Wenn ja, wie bist du damit umgegangen?

Meine Noten sind mir wichtig, ich möchte gut abschneiden. Als meine Noten in den Sprachen schlechter wurden, machte ich eine kleine Krise durch. Ich fragte mich, ob ich wirklich für das Amt der Präsidentin von Macrocosm kandidieren sollte, ob ich eins meiner Engagements aufgeben sollte und wenn ja, welches. Es ist ein Dilemma - man muss sich entscheiden, auch wenn man es nicht will. Am Ende habe ich den Chor aufgegeben. Manchmal muss man einen Preis bezahlen, um das Gleichgewicht zu halten. Aber ich bereue nichts. Zum Beispiel habe ich bei den Wissenschafts-Olympiaden so viele neue Leute kennen gelernt und ich werde mich immer an diese Erfahrung erinnern, deshalb bin ich froh, dass ich teilgenommen habe.

 

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Nitya erzählt im Video von ihrem wichtigsten Moment als Volunteer.

Nun zu etwas Positiverem: Hast du bei der Freiwilligenarbeit Fähigkeiten entwickelt, die auch in anderen Lebensbereichen nützlich sind?

Auf jeden Fall! Administration wird unterschätzt: Organisieren, Koordinieren, das sind Dinge, die wir oft für selbstverständlich halten. Ich habe gelernt, wie man professionelle E-Mails und Briefe auf Französisch und Deutsch schreibt, wie man gegen aussen kommuniziert - das ist nicht so selbstverständlich, wie es sich anhört! Die Zeitmanagement-Tricks, die ich gelernt habe, kann ich auch in Zukunft gut gebraucht. Sobald man sich um mehrere Dinge gleichzeitig kümmern muss, muss man lernen, Prioritäten zu setzen. Zu Beginn der Covid-19-Krise musst ich auch lernen, wie man Menschen Mut macht, denn die Stimmung unter den Mitgliedern von Macrocosm war ziemlich schlecht. Das sind alles praktische Fähigkeiten, von denen ich ein Leben lang profitieren kann. Es heisst, Wohltätigkeit sei eigentlich egoistisch, und das ist durchaus etwas dran, denn es ist sehr befriedigend, wenn man sieht, dass man etwas Gutes getan hat. Freiwilligenarbeit ist Arbeit, aber sie ist es wert. Jeder sollte die Möglichkeit haben, sich freiwillig zu engagieren.

Engagiert, die Zahl: 94% Eine Befragung der Fachhochschule St. Gallen hat ergeben, dass 94% der Jugendlichen es wichtig finden, sich gemeinnützig zu engagieren. Die meisten Jugendlichen interessieren sich für Freiwilligenarbeit in den Bereichen Sport (56 %), Kultur und Freizeit (47%) sowie Bildung und Erziehung (44%). Am stärksten zugenommen hat in jüngster Zeit aber das Engagement in den Bereichen Umwelt-/Natur-/Tierschutz (+19 %).

 

Hast du ein Vorbild, jemanden, der dich inspiriert?

Meine Eltern inspirieren mich. Wenn ich ihnen meine Meinung sage, weisen sie mich manchmal auf Perspektiven hin, die mir selbst nie eingefallen wären. Da ich in der Schweiz aufgewachsen bin und sie in Indien, sind wir uns nicht immer einig, aber ich schätze es sehr, dass sie mich an meine Privilegien erinnern. Ich verdanke ihnen sehr viel. Wenn es um berühmte Personen geht... Das ist ein bisschen stereotypisch, aber Gandhi habe ich schon als Kind bewundert. Er zeigt die Kraft der stillen Veränderung, dass man keinen Krieg braucht, um etwas zu verändern. Das hat auch wieder etwas mit dem Klimastreik zu tun, denn dieser zeigt, dass auch Menschen ohne Waffen, sogar Jugendliche, grossen Einfluss haben können.

 

 

Welche Auswirkungen hat die Covid-19-Krise auf dein Engagement?

Es ist... nicht cool. Macrocosm ist stark von Veranstaltungen abhängig - unsere grösste Spendenaktion ist eine Party. Die Beziehungen zwischen den Gruppenmitglieder wurden distanzierter. Auf der anderen Seite zwingt uns die Covid-19-Krise, innovativ zu sein. Bis dahin haben wir jedes Jahr mehr oder weniger dasselbe gemacht. Nur die Organisationen, für die wir Spenden sammelten, waren von Jahr zu Jahr verschieden. Die aktuelle Lage gibt uns die Gelegenheit, umzudenken. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit Online-Fundraising. Wir müssen auch an unserer Website und unserer Präsenz in den sozialen Medien arbeiten. Man würde von einem Teenager nicht erwarten, dass sie das sagt, aber nur weil wir wissen, wie man soziale Medien zum Spass nutzt, heisst das nicht, dass wir wissen, wie man Marketing damit betreibt. Es hat sich vieles verändert, letztlich zum Guten. Stell dir vor, wie viel wir bewegen können, wenn wir wieder Veranstaltungen durchführen und gleichzeitig online aktiv sind!

 

Was können wir deiner Meinung nach in Bezug auf Nachhaltigkeit aus der Covid-19-Krise lernen?

Die Covid-19-Krise zeigt uns, was mit der Welt nicht stimmt. Aus humanitärer Sicht ist die Pandemie eine riesige Katastrophe. Uns ist zum Teil gar nicht bewusst, wie furchtbar die Folgen sind, da wir in der Schweiz eine relativ behütete Existenz führen. In Industrieländern können wir uns einen Lockdown mehr oder weniger leisten. Jemand hat mich mal gefragt, warum sich in Indien niemand an den Lockdown hält. Ich sehe das so: Covid-19 hat eine gewisse Sterblichkeitsrate, aber der Hunger hat eine hundertprozentige Sterblichkeitsrate. Die Menschen verlassen unweigerlich ihre Häuser, wenn sie sonst kein Essen auf dem Tisch haben. Die Covid-19-Krise macht das Dilemma zwischen ökologischer und humanitärer Nachhaltigkeit wirklich deutlich. Sie sollten eigentlich Hand in Hand gehen, denn was gut für die Erde ist, sollte auch gut für die Menschen sein, aber wir haben die Welt nicht so eingerichtet.

 

Man kann einem Gletscher nicht sagen, er solle aufhören zu schmelzen, aber man kann einem Menschen sagen, er solle aufhören, Ressourcen zu verschwenden.

 

Wenn du etwas an der Welt ändern könntest, was würdest du ändern?

Alles, was mir einfällt, lässt sich schliesslich auf die Einstellungen der Leute reduzieren. Damit fängt alles an. Alle Veränderungen, die wir umsetzen können, sind nur dann von bleibender Wirkung, wenn sich auch Individuen verändern. Man kann einem Gletscher nicht sagen, er solle aufhören zu schmelzen, aber man kann einem Menschen sagen, er solle aufhören, Ressourcen zu verschwenden. Wenn ich also etwas verändern könnte, dann die Einstellungen der Leute, und das ist es auch, wonach ich mit meinem Engagement strebe.

 

Serie "Engagiert" 380 Volunteers arbeiten mit viel Herzblut für die neun Wissenschafts-Olympiaden - ganz unentgeltlich. Was bedeutet freiwilliges Engagement konkret? Darüber sprechen wir mit engagierten Teilnehmenden, Lehrpersonen, Wissenschaftler*innen und anderen Menschen aus dem Umfeld der Wissenschafts-Olympiaden.

 

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