Wie bist du zur Informatik-Olympiade gekommen? Was war der Funke, der dein Engagement entfacht hat?
Ich komme nicht aus der Schweiz und habe daher nie selber an der Schweizer Informatik-Olympiade (SOI) teilgenommen. In Deutschland habe ich bei der Mathematik-Olympiade mitgemacht. Zur SOI kam ich über die European Girls‘ Olympiad in Informatics (EGOI), die 2021 in der Schweiz ins Leben gerufen wurde. Ein Kollege hat mich an ein Organisationstreffen eingeladen mit der Bemerkung, dass es dort Pizza gibt. Ich fand das Projekt von Anfang an einfach cool, weil ich mir so etwas auch gewünscht hätte in meiner Schulzeit. Die EGOI ist ein Herzensprojekt von mir geworden. Ich glaube, sie hat wahnsinnig viel gebracht. Die jeweiligen Informatik-Olympiaden der verschiedenen Länder wurden dazu inspiriert, auf nationaler Ebene Frauenförderung zu betreiben, weil sie das Ziel hatten, eine Delegation an die EGOI zu entsenden.
Vom 13. bis 19. Juni 2021 fand die allererste European Girls’ Olympiad in Informatics statt, initiiert von Volunteers aus dem Umfeld der Schweizer Informatik-Olympiade und inspiriert von der European Girls‘ Mathematical Olympiad (EGMO). 157 Teilnehmerinnen aus 43 Ländern programmierten Algorithmen, tauschten sich auf Discord aus oder spielten zusammen Onlinespiele. Das vierköpfige Schweizer Team gewann eine Silber- und drei Bronzemedaillen.
Nach meinem Einsatz für die EGOI wurde ich gebeten, Workshops für die SOI zu geben. Es ist der Informatik-Olympiade ein Anliegen, Frauen sichtbarer zu machen, aber es war schwierig, weibliche Volunteers zu finden. Dann bin ich irgendwie hängen geblieben, dem Verein beigetreten und jetzt bin ich Vizepräsidentin (lacht).
Wie wichtig ist es für Teilnehmerinnen, weibliche Volunteers wie dich als Vorbilder zu haben?
Ich habe schon das Gefühl, dass weibliche Volunteers nochmal ein anderes Auge auf die Frauenförderung haben. Es gibt unbewusste Biases, die sich beispielsweise in der Gruppeneinteilung zeigen. Wenn wir die Teilnehmenden nach ihrem Kenntnisstand in Gruppen einteilen und sie die Einteilung selbst vornehmen, landen die Mädchen häufig in einer Gruppe, die ihrem Leistungsniveau eigentlich nicht entspricht, weil ihnen niemand sagt: Du kannst es besser. Wenn es keine weiblichen Teilnehmerinnen gibt, dann trauen sich weniger junge Frauen, neu mitzumachen. Aber wenn es keine weiblichen Volunteers gibt, dann fragen sich vielleicht auch die bestehenden Teilnehmerinnen, ob sie wirklich dazugehören.
Wenn es keine weiblichen Volunteers gibt, dann fragen sich vielleicht auch die bestehenden Teilnehmerinnen, ob sie wirklich dazugehören.
Die erste EGOI 2021 war wegen der Pandemie online, 2022 fand die zweite EGOI vor Ort in der Türkei statt. Warst du dabei?
Ja, ich habe die Schweizer Delegation zusammen mit anderen Volunteers begleitet. Im Vorfeld hatten wir eine Serie von Online-Trainings mit der schwedischen Delegation. Daraus entstand die Idee, am Trainingslager der schwedischen EGOI- und IOI-Delegationen teilzunehmen. In Schweden hatten wir eine gute Mischung der Levels und konnten so sehr gut gemeinsam trainieren. Es hat den Teilnehmerinnen aber auch gut gefallen, weil sie endlich reisen konnten. Es war auch echt cool, dass sie die schwedische Delegation schon vor der EGOI in der Türkei, die im Oktober 2022 stattfand, kennenlernen konnten.
Ich bin sehr froh, dass der Anlass vor Ort stattfinden konnte, die Mädchen hatten auf jeden Fall viel Spass und es war sehr gut organisiert. Pool, Meer, gutes Essen… als Organisatorinnen und Organisatoren der ersten EGOI waren wir natürlich auch ein bisschen traurig, dass wir diese damals nicht vor Ort in Zürich durchführen konnten.
Eine Umfrage der Wissenschafts-Olympiaden hat ergeben, dass Frauen bei der Teilnahme an weniger durch das kompetitive Wettbewerbsformat motiviert sind, als männliche Teilnehmende. Kannst du dies aus deiner Erfahrung bei der Informatik-Olympiade bestätigen?
Es ist schwer zu sagen, denn ich glaube, was zum Beispiel die EGOI so besonders macht, ist das Gefühl, dazuzugehören und am richtigen Ort zu sein. Das haben die Teilnehmerinnen halt vor allem, weil so viele andere Mädchen dabei sind. Ich weiss nicht, ob der Wettbewerb dadurch weniger interessant wird, sondern eher, dass das Drumherum umso interessanter wird.
Bei den Jungs, denen es vielleicht leichter fällt, in ihrem Fach dieses Zugehörigkeitsgefühl zu empfinden, ist dieses vergleichsweise weniger relevant, da es weniger bewusst wahrgenommen wird. Wobei es für Jungs, die sich in ihrem Umfeld nicht über Computer und Technik austauschen können, auch wieder anders sein kann.
Der Wettbewerb fühlt sich vielleicht auch weniger kompetitiv an, da sich die Teilnehmerinnen sehr gut miteinander und füreinander freuen können. Es geht ihnen schon um die Medaille, aber weniger darum, besser zu sein als die anderen, sondern darum, persönlich sein Bestes zu geben.
Charlotte Knierim ist Vizepräsidentin und EGOI-Ressortleiterin bei der Schweizer Informatik-Olympiade. Sie hat eine Promotion in theoretischer Informatik abgeschlossen und beginnt im März 2023, am Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht der ETH Zürich im Bereich der Kursentwicklung für hochbegabte Jugendliche zu arbeiten.
Ist dein Geschlecht für dich persönlich ein Thema in deiner akademischen Karriere?
Aus dem Studium kenne ich das Gefühl, immer in der Minderheit zu sein. Die Leute kennen deinen Namen immer als erstes, weil du eine von wenigen Frauen bist. Bei meiner Promotion hatte ich dieses Gefühl weniger als sonst, aber ich habe auch bei einer Professorin promoviert. Es liegt vielleicht auch daran, dass man bei einer Promotion die Leute, mit denen man arbeitet, gut kennenlernt, während man im Studium von sehr vielen Leuten umgeben ist. Das Geschlecht und ähnliche Kategorien sind relevanter, je anonymer man in einer Gruppe ist.
Die Anzahl Teilnehmerinnen in der ersten Runde der Informatik-Olympiade hat von 19/20 auf 20/21 einen Sprung von 13.1 zu 23.5 Prozent gemacht. Glaubst du, dass dies auf die EGOI zurückzuführen ist?
Es wurden im Vorfeld der EGOI viele Girls Camps organisiert, Stefanie Zbinden war da sehr aktiv. Dann gibt es auch eine Kampagne, das IT-Feuer, das im Zusammenhang mit der EGOI lanciert wurde. Ich kann mir ausserdem vorstellen, dass es glücklicherweise ein bisschen im Trend liegt, Mädchen zur Teilnahme zu ermutigen. Dadurch steigt die Akzeptanz von Jahr zu Jahr.
Trotzdem: Die Informatik-Olympiade hat in der ersten Runde immer noch den tiefsten Frauenanteil aller zehn Fächer – in den weiteren Runden sieht es etwas anders aus. Wo siehst du die Gründe? Und gibt es noch Massnahmen, die die Informatik-Olympiade ergreifen könnte?
Ein Grund ist sicherlich das System unserer ersten Runde: Es ist ziemlich kompliziert, sich da reinzufuchsen. Junge Frauen geben angesichts dieser Einstiegshürde eher mal auf und denken sich, dass die Olympiade wohl doch nichts für sie ist. Obwohl sie eigentlich die richtigen Lösungsideen hätten. Ich möchte daher diesen ersten Schritt vereinfachen, idealerweise bis zum Beginn der Informatik-Olympiade 2023/24.
Im Juni plane ich ausserdem ein EGOI-Trainingslager kombiniert mit einem Girls Camp. Neben dem Schweizer EGOI-Team laden wir auch einige ausländische Teilnehmerinnen ein sowie 8 bis 10 weitere Mädchen aus dem Schweizer Wettbewerb. Anders als zuvor ist das Lager für junge Frauen gedacht, die schon ein bisschen programmieren können. Erfreulicherweise gibt es mittlerweile nämlich schon relativ viele Angebote, bei denen Mädchen von Grund auf programmieren lernen können. Daher fokussieren wir uns in diesem Girls Camps auf jene, die bereits Grundkenntnisse haben und bringen ihnen die Olympiaden-Aufgaben näher.
Programmieren wird immer verbreiteter. Gerade junge Frauen haben oft schon Grundkenntnisse und trauen sich dann trotzdem nicht, an einer Olympiade teilzunehmen. Was wir auch immer wieder erleben, ist, dass Mädchen bei ihrem ersten Versuch nicht weiterkommen und dann entmutigt sind. Diese laden wir gezielt in das Girls Camp ein, um sie zu einer erneuten Teilnahme zu motivieren.
Wie sieht für dich die ideale Informatik-Olympiade in Sachen Geschlechterverteilung aus?
Ich strebe einfach an, dass junge Frauen keine Hemmungen haben, teilzunehmen. Dass jede junge Frau, die sich für die Informatik-Olympiade interessiert, den Mut hat, teilzunehmen, weil sie sich angesprochen fühlt. Das muss nicht unbedingt heissen, dass die Geschlechterverteilung 50:50 beträgt. Aber ich möchte auf jeden Fall, dass der Frauenanteil nicht nur in den ersten Runden steigt, sondern auch in den nationalen und internationalen Finals. Das ist der nächste Schritt: Wir müssen herausfinden, wie wir dafür sorgen, dass die Mädchen, die sich für die Olympiade interessieren, dann auch ihr Potential ausschöpfen können. Meine Mission ist es, sie bestmöglich beim Erreichen ihrer Ziele zu unterstützen.
Das ist der nächste Schritt: Wir müssen herausfinden, wie wir dafür sorgen, dass die Mädchen, die sich für die Olympiade interessieren, dann auch ihr Potential ausschöpfen können. Meine Mission ist es, sie bestmöglich beim Erreichen ihrer Ziele zu unterstützen.
Mehr zum Thema