Wie kann unser Wettbewerb alle Geschlechter ansprechen? Auf diese Frage haben wir vor rund einem Jahr Antworten gefunden – in der Theorie. Nun blickt die Arbeitsgruppe zurück auf die bisherigen Massnahmen und ihre Wirkung in der Praxis.
[Translate to Italian:] Ein Blick auf die Geschlechterverteilung in den Finals zeigt, dass Teilnehmerinnen bei fast allen Olympiaden in der Unterzahl sind. Illustration: André Sandmann
Seit 2019 steht den neun Olympiaden ein Gender-Leitfaden zur Verfügung. Er enthält Tipps, wie der Wettbewerb möglichst gendergerecht gestaltet werden kann. Wie haben die Olympiaden die Empfehlungen umgesetzt? Und was haben sie bewirkt?
Zusätzliche Angebote exklusiv für Mädchen und junge Frauen geschaffen
Zwei Olympiaden haben sich dafür entschieden, Angebote exklusiv für junge Frauen zu gestalten:
die Mathematik-Olympiade, die ihre besten Teilnehmerinnen an den Europäischen Wettbewerb schickt (European' Girls Mathematical Olympiad) und daraufhin trainiert.
und die Informatik-Olympiade, die im Vorfeld der Olympiade ein Lager nur für junge Frauen anbietet.
Beide Olympiaden starten mit einer tiefen Frauenquote (Mathematik: rund 30%, Informatik: rund 10%) in die erste Runde und diese Quote sinkt im Verlauf des Wettbewerbs weiter ab. Für die jungen Frauen sind diese Angebote in mehrfacher Hinsicht förderlich: Sie motivieren sie zur Teilnahme, ermöglichen einen Ausbau ihrer fachlichen Fähigkeiten und bieten die Gelegenheit, sich untereinander auszutauschen und Rollenvorbilder zu finden.
"Ich konnte schon vor dem Camp programmieren, aber hier habe ich in einer Woche mehr gelernt als in einem Jahr in der Schule!”
Angelika (Teilnehmerin Girls-Camp)
Im Interview mit den Teilnehmerinnen wird ersichtlich, inwiefern das Informatik-Lager einen positiven Einfluss auf den Selbstwert hat. Wir hoffen, dass sich diese positive Wirkung in ein paar Jahren auch in den Frauenanteilen erkennen lässt.
Lehrpersonen sensibilisiert
Die Robotik-Olympiade geht davon aus, dass Mädchen in der Schule zu wenig für Robotik motiviert werden und wenig Kontakt mit Technik habem. Die OrganisatorInnen haben einen Weg gefunden, dies zu ändern: Neuen Frauenteams schenken sie ein Robotik-Set im Wert von über 400 CHF, das für die Teilnahme benötigt wird. Aufgrund der Kosten sind diese Sets in den Schulen Mangelware und reichen oft nur für ein Team. Es gilt «Der Schnellere ist der Geschwindere» und die Erfahrung zeigt, dass Jungs sich ihren Platz im Team mit einer schnellen Zusage sichern. Durch ein zusätzliches Set können nun auch noch zurückhaltendere Mädchen gewonnen und dabei gleichzeitig die Lehrpersonen sensibilisiert werden: Robotik ist auch Frauensache.
“Ein gelungener Ansatz: Die Jungs haben bereits ihren Platz in einem Robotik-Team und werden durch die zusätzlichen Mädchen-Teams keineswegs benachteiligt.”
Die Zahlen sprechen für sich: Die Robotik-Olympiade konnte ihren Frauenanteil in den Finals in den letzten Jahren verdreifachen - von 11% auf 33%. Das Projekt wurde am Internationalen Robotik-Wettbewerb in Kanada hoch gelobt und mit einem Award für eine erfolgreiche Frauenförderung im MINT-Bereich ausgezeichnet.
Weibliche Rollenvorbilder in den MINT-Olympiaden sind wichtig, damit sich Teilnehmerinnen mit anderen erfolgreichen Frauen identifizieren und ihr Selbstbild als Frau in diesem Fachgebiet stärken können. Das kritische Hinterfragen und Auflösen von Geschlechterstereotypen ist für alle, Teilnehmer und Teilnehmerinnen, eine Bereicherung. Die Mathematik-Olympiade profitiert hier vom wertvollen Nebeneffekt der EGMO: Diese sorgt auch für mehr weiblichen Nachwuchs unter den Freiwilligen. Denn die meisten Freiwilligen sind ehemalige Teilnehmende.
“Wir haben noch Schwierigkeiten, weibliche Freiwillige zu finden, die unterrichten und Vorträge halten.”
Rafael, Präsident der Physik-Olympiade
Die Rekrutierung von weiblichen Freiwilligen ist sicher auch eine Frage der Zeit. Die Geschäftsstelle hat sich dazu entschieden, diesen Prozess mit Hilfe von Portraits aktiv zu unterstützen: Viviane, Ivana, Caroline und Jacqueline inspirieren nicht nur als weibliche Freiwillige, sondern auch als erfolgreiche Olympionikinnen und junge Wissenschaftlerinnen.
Unterricht und Kommunikation angepasst
Die Freiwilligen haben mit Hilfe der Geschäftsstelle die Werbe- und Unterrichtsmaterialien überprüft und sich bemüht, alle Geschlechter explizit anzusprechen und auf den Bildern gleichwertig abzubilden. In den Aufgaben der Informatik-Olympiade kommt nun beispielsweise nicht mehr nur ein männlicher Protagonist, sondern auch eine Protagonistin vor.
“Ich gewöhne mich an die gendergerechte Sprache und achte nun auch darauf, Teilnehmerinnen auf den Fotos zu zeigen."
Auch die Arbeitsgruppe wird weiterhin aktiv sein und die Diskussion über folgende Fragen weiterführen:
Welche Geschlechterverteilungen sind in welchen Runden und in welchen Olympiaden anzustreben?
Welche eventuellen negativen Auswirkungen hat die Frauenförderung für die Teilnehmerinnen oder aber auch für die männlichen Teilnehmer?
Wie lässt sich Chancengerechtigkeit in unserem Wettbewerbsformat umsetzen?
Zur Arbeitsgruppe: Eine Gruppe von Freiwilligen der neun Olympiaden hat sich in einer Arbeitsgruppe zum Thema Gender zusammengeschlossen. Weitere Freiwillige, die gerne mitdiskutieren möchten, dürfen sich gerne an Nicole Schäfer, Olympiaden-Koordinatorin wenden. Sie leitet das Projekt.