07.10.2020

Logik und Leidenschaft

Als Kind rechnet sie mit ihren Schwestern um die Wette, heute gibt sie ihr Wissen an die nächste Generation von mathematisch begabten Jugendlichen weiter. Ivana Klasovita weiss aus eigener Erfahrung, wie wertvoll Begabungsförderung in den MINT-Fächern sein kann – und auch, dass es Angebote speziell für Mädchen und junge Frauen braucht.

[Translate to Italian:] Ivana Klasovita studiert Informatik an der ETH Zürich. (Alle Bilder: Severin Nowacki)

[Translate to Italian:] Mehr als für die praktische Anwendung interessiert sich Ivana für die theoretischen Konzepte hinter der Informatik.

Das mathematische Denken wurde Ivana Klasovita im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt: Ihre Eltern sind beide Elektrotechniker, ihre ältere Schwester studiert Physik, ihre Zwillingsschwester Mathematik. Schon als kleine Kinder spielten Ivana und ihre Schwestern liebend gerne Trio - ein Kombinationsspiel, bei dem Kopfrechnen trainiert wird. Mit einem schelmischen Lächeln merkt Ivana an, dass sich ihre Schwestern ihr gegenüber oft geschlagen geben mussten, was den Familienfrieden nicht selten trübte. Die drei Schwestern waren schon seit jeher gewissermassen auch Konkurrentinnen, die sich gegenseitig liebevoll-fordernd zu höheren Leistungen anstachelten - ein roter Faden, der sich bis zu den Wissenschaftsolympiaden durchziehen sollte.

 

Ivana Klasovita nahm während ihrer Schulzeit an der Kantonsschule Rämibühl (ZH) erfolgreich an der Schweizerischen Informatik-, Physik und Mathematikolympiade teil. Aktuell studiert sie im letzten Semester des Bachelors Informatik an der ETH Zürich. Wenn sie in den Semesterferien mal eine Auszeit von Mathematik und Co. braucht, liest Ivana zudem liebend gerne Science-Fiction Romane.

 

 

 

Auf die Frage hin, was ihr denn an der Mathematik so gefalle, muss Ivana lachen. Ihre Liebe zur Mathematik ergab sich eigentlich aus ihrer Abneigung gegen ganz andere Fächer: die Sprachen. Ivana wurde im Jahr 1999 in der Slowakei geboren und zog als Kleinkind mit ihren Eltern und ihren beiden Schwestern nach Greifensee (ZH). Ihre Muttersprache ist Slowakisch, Deutsch lernte sie erst im Kindergarten. Wenig später kamen auch noch Französisch und Englisch dazu. Bei all diesen Fremdsprachen mit ihren unzähligen grammatischen Regeln und den noch zahlreicheren Ausnahmen erlebte Ivana die Mathematik geradezu als Wohltat. Das klar strukturierte Arbeiten, die eindeutigen Regeln, Logik statt Auswendiglernen - das entsprach ihr.

 

Mathematisch aufblühen konnten Ivana und ihre Zwillingsschwester Viera, als sie auf Tatiana Samrowski von der Junior Euler Society trafen. Diese erkannte den Elan, die Neugier, den Durchhaltewillen und das mathematische Talent der Schwestern und förderte sie bis  zum internationalen Erfolg: Ivana qualifizierte sich an der Schweizer Mathematik-Olympiade für die European Girls' Mathematical Olympiad (EGMO) 2017, welche in der Schweiz abgehalten wurde. Dort gewann sie eine Bronzemedaille. Während Schulkameraden die Badi genossen, Freunde trafen oder ausschliefen, trainierten Ivana und Viera am Nachmittag nach der Schule oder am Samstagmorgen ihre mathematischen Fähigkeiten. Für Ivana war die Mathematik also das, was für andere Leichtathletik oder Violinspielen ist: Eine Leidenschaft, die Zeit und Mühen erfordert, aber dabei grosse Freude bereitet.

 

Die Junior Euler Society (JES) ist ein Programm des Mathematischen Instituts der Universität Zürich. Sie zielt darauf ab, interessierten Kindern und Jugendlichen einen spielerischen Zugang zu Mathematik zu ermöglichen und die Freude an diesem Fach zu fördern. JES bietet regelmässige Kurse für verschiedene Altersgruppen von der Primarschule bis zur Matur an. Dabei werden das eigenständige Denken und das kreative Finden von eigenen Lösungswegen gefördert. Zudem werden spezielle Vorbereitungskurse Mathematik-Wettbewerbe angeboten.

 

 

Nach der Matura entschied sich Ivana für das Informatikstudium an der ETH Zürich. Während dem Gymnasium hatte sie an verschiedenen Physik-Wettbewerben teilgenommen, bei denen man Modelle erstellen und Experimente durchführen musste. Dabei realisierte Ivana immer mehr, dass ihr diese Arbeitsweise der Physik nicht wirklich entspricht. Mathematik kam folglich ebenfalls nicht infrage, da diese an der ETH sehr stark an die Physik gebunden ist. Schliesslich fiel ihre Wahl daher auf die Informatik.

 

Als ich Ivana auf das Thema Frauen in MINT-Fächern anspreche, redet sie sich schnell in Rage. Schon als Kind hat sie sich halt daran gewöhnt, dass ihre Lieblingsspielzeuge - ferngesteuerte Autos - in der Spielwarenabteilung für Buben suchen musste und diese blau angemalt waren. Von ihrer Grossmutter bekam sie dennoch oft eine rosa Puppe geschenkt, erzählt Ivana lachend. Dies sei sicherlich keine böse Absicht gewesen, aber man sehe daran, dass gesellschaftliche Stereotypen immer noch stark wirken. Wichtig findet sie, dass Frauen und Männer ermutigt werden, Aufgaben in der Gesellschaft wahrzunehmen, die nicht dem klassischen Rollenbild entsprechen. Dazu gehöre ein grosszügiger Vaterschaftsurlaub ebenso wie mehr Frauenförderung in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen. Ivana ortet hier insbesondere für Schweizer Universitäten Nachholbedarf. In Seattle (USA), wo sie ein halbes Jahr lang studierte, habe sie in den Vorlesungen jeweils deutlich mehr Frauen angetroffen. Ivana kritisiert, dass es in der Schweiz zu wenig Professorinnen gibt, die eine Vorbildfunktion übernehmen können, und vermisst ein engagierteres Einstehen für Frauenförderung von offizieller Seite.

 

 

Schon oft sei auf Gegenwind gestossen, wenn es um spezielle Angebote für junge Frauen im MINT-Bereich ging, wie beispielsweise die EGMO. So höre sie häufig, Frauen müssten halt gleich viel leisten wie Männer, dann bräuchte es diese Angebote gar nicht erst. Dieses Argument lässt Ivana nicht gelten. Sie zeigt auf, dass Frauen in den ersten Runden der Schweizerischen Mathematik-Olympiade gerade einmal 30 % ausmachen. Folglich komme es selten vor, dass eine Frau auch an der internationalen Olympiade vertreten ist und somit ein Vorbild sein kann für zukünftige Teilnehmerinnen. Diesen Teufelskreis gelte es zu durchbrechen, so Ivana. Bis eine vergleichbare Anzahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern erreicht ist, gehe dies nur mit Angeboten, die sich speziell an Frauen richteten. Deshalb engagiert sich Ivana im Organisationsteam der European Girls’ Olympiad in Informatics, kurz EGOI. Dieser von Freiwilligen der Schweizer Informatik-Olympiade erdachte Wettbewerb soll zum ersten Mal im Juni 2021 im Zürich stattfinden. Ivana hofft, dass die EGOI den jungen Frauen die Chance gibt, Gleichgesinnte zu treffen. Dass daraus auch langjährige Freundschaften werden können, weiss sie aus Erfahrung – auch fünf Jahre später hat sie noch Kontakt zu Leuten, die sie an der EGMO kennengelernt hat.

 

Was ihre Zukunft bringen wird, weiss Ivana noch nicht ganz genau. Generell interessiert sie sich jedoch mehr für die theoretischen Konzepte der Informatik als für die praktische Anwendung. Zudem gibt sie ihr Wissen gerne an andere weiter. Schon seit Jahren unterrichtet Ivana im Rahmen der Junior Euler Society ehrenamtlich motivierte Kinder und Jugendliche in Mathematik. Es mache ihr Freude zu sehen, wie sich die Jugendlichen unter ihrer Anleitung verbessern und eine Faszination sowie ein Verständnis für das Fach entwickeln. Daher kann sie sich gut vorstellen, später am Gymnasium oder an einer Hochschule Informatik zu unterrichten. Ihre Neugier, Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit würden ihr auf diesem Weg sicherlich von Nutzen sein.

 

Zur Autorin: Eva Angehrn studiert Humanmedizin in Bern. Vor vier Jahren hat sie an der Internationalen Biologie-Olympiade in Vietnam teilgenommen. Nun engagiert sich Eva als Freiwillige im Redaktionsteam der Wissenschaftsolympiaden.

 

 

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