Junge Talente reden mit Schweizer Wissenschafts-Stars
Wenn die Schweiz ihre besten Forschenden auszeichnet, darf der wissenschaftliche Nachwuchs nicht fehlen, finden Schweizer Jugend Forscht und die Wissenschafts-Olympiade. Achtzehn Alumni der beiden Wettbewerbe erhielten die Möglichkeit, die GewinnerInnen der prestigeträchtigen Wissenschaftspreise Marcel Benoist und Latsis an einem exklusiven Workshop mit Fragen zu löchern.
Der Workshop fand im Kuppelraum der Universität Bern statt. (Bild: Marianne Begré, SJF)
Die Moderation übernahmen Mitglieder des Think-Tanks "Foraus" (Bild: Marianne Begré, SJF)
Die Latsis-Preisträgerin 2020, Maryna Viazovska. (Bild: Marianne Begré, SJF)
Der Benoist-Preisträger 2020, Rudolf Aebersold (Bild: Marianne Begré, SJF)
Der Latsis-Preisträger 2021, Nicola Aceto (Bild: Marianne Begré, SJF)
Der Benoist-Preisträger 2021, Thomas Berger (Bild: Marianne Begré, SJF)
Vier Tische und an jedem sitzt einer der besten Forschenden der Schweiz. Rudolf Aebersold, Thomas Berger, Maryna Viazovska und Thomas Aceto – sie haben 2020 und 2021 die Wissenschaftspreise Marcel Benoist und Latsis gewonnen. Um sie herum sitzen achtzehn junge Menschen. Manche von ihnen besuchen das Gymnasium, andere studieren bereits, doch sie haben eines gemeinsam: Eine erfolgreiche Teilnahme bei Schweizer Jugend Forscht oder den Wissenschafts-Olympiaden. Als Alumni haben sie die Chance erhalten, an einem Workshop mit den Schweizer Wissenschafts-Stars der Stunde teilzunehmen.
Seit 1920 verleiht die Marcel Benoist Stiftung einen Preis von 250'000 Franken an exzellente WissenschaftlerInnen in der Schweiz. Die Fondation Latsis stiftet seit 1983 den mit 100'000 dotierten nationalen Latsis-Preis für Forschende, die bis zum 40. Lebensjahr herausragende wissenschaftliche Leistungen erbracht haben. Die Preise sollten bereits 2020 zum ersten Mal in einer gemeinsamen Zeremonie überreicht werden, was aufgrund der Pandemie erst 2021 möglich war. Ausgewählt wurden die PreisträgerInnen im Auftrag der Stiftungen durch den Schweizerischen Nationalfonds.
Der Workshop vor der Preisverleihung am 4. November wird moderiert von Mitgliedern des Think-Tanks «Foraus», der engagierten jungen Menschen eine Plattform in der politischen Debatte bietet. Während der nächsten zwei Stunden sollen die Alumni als «Leserinnen und Leser» von Tisch zu Tisch ziehen und in allen vier «Büchern» blättern. Die «Bücher» in dieser menschlichen Bibliothek sind die PreisträgerInnen. Sie stellen an diesem Nachmittag ihre Expertise zur freien Verfügung.
Wailea Zülch und Meret Grob vom Think-Thank "Foraus" (Bild: Marianne Begré, SJF)
«Kugelpackungen, ich weiss gar nicht so genau, was das ist», gibt einer der Alumni zu an Maryna Viazovskas Tisch. «Oh!», ruft die Mathematikerin, greift nach einem der bunten Zettel, die auf den Tischen ausliegen und beginnt, zu skizzieren. «Stellt euch einfach vor, dass das hier alles achtdimensional wäre!» Schon im 17. Jahrhundert überlegte Johannes Kepler, wie Kugeln am dichtesten zu packen wären. Er war von einem praktischen Problem dazu inspiriert worden: Wie kann man Kanonenkugeln am besten auf einem Schiff verstauen? Erst viel später wurde Keplers Vermutung bewiesen. Bei der Forschung der Latsis-Preisträgerin von 2020 geht es um ein ähnliches Problem – aber in der achten und vierundzwanzigsten Dimension.
«Nützlich für das menschliche Leben»
Thomas Berger, der Benoist-Preisträger von 2021, verteilt am Tisch Kopien seines Forschungsartikels. Darin geht es um das Programm «Velibra» gegen Angststörungen. Etwa ein Drittel der Menschen haben im Verlaufe ihres Lebens mit einer psychischen Störung zu kämpfen. Berger arbeitet an Online-Therapien, mit denen mehr Leute erreicht werden können. Die Idee der Therapie per App wirft bei den Alumni sofort viele Fragen auf. Der Psychologe erklärt, für welche Krankheiten sich ein solches Programm eignet und wie es funktioniert. Forschung, die nützlich ist für das menschliche Leben – dies ist eines der Kriterien für die Vergabe des Benoist-Preises. Ausserdem ist es wichtig, dass die PreisträgerInnen junge WissenschaftlerInnen auf den Weg mitnehmen, den sie eingeschlagen haben.
SJF-Almunus Alessandro Longhi und Maryna Viazovska (Bild: Marianne Begré, SJF)
Am Tisch von Latsis-Preisträger Nicola Aceto geht es währenddessen um Therapien gegen Krebs, die Krebszellen nicht etwa abtöten, sondern voneinander losreissen. Einzelne Krebszellen verursachen eher keine Metastasen. Gefährlich wird es, wenn sich mehrere Zellen zusammen tun. Das will Aceto mit einem Medikament verhindern. Luca Basso, der 2019 mit seiner Maturaarbeit im Fach Chemie einen Sonderpreis am nationalen Wettbewerb von Schweizer Jugend Forscht gewonnen hat, ist fasziniert. «Kann man da mal vorbeischauen, in Ihrem Labor?» fragt er Aceto. Die beiden unterhalten sich noch auf Italienisch, als der Wecker klingelt. Alle zwanzig Minuten wechseln die Teilnehmenden den Tisch. Zu wenig Zeit, um alle brennenden Fragen zu besprechen, findet Olympiaden-Alumnus Rafael Zumbrunn, der Interdisziplinäre Naturwissenschaften an der ETH Zürich studiert.
Mathieu Zufferey, Rafael Zumbrunn und Jessica Kurmann haben auf internationaler Ebene an Wissenschafts-Olympiaden teilgenommen. (Bild: Marianne Begré, SJF)
Immer der Neugier nach
Manchmal führen die Fragen der Teilnehmenden auch auf unerwartete Pfade, doch die PreisträgerInnen lassen sich gerne mitnehmen. Das Gespräch am Tisch von Maryna Viazovska landet irgendwann bei ausserirdischem Leben: «Ich bin keine Expertin für Aliens», lacht sie, bevor sie laut darüber nachdenkt, ob Ausserirdische wohl dieselbe Definition von Primzahlen hätten, wie wir.
Benoist-Preisträger Rudolf Aebersold dreht den Spiess um und stellt den Alumni eine Frage: «Was sind eure Erwartungen an eine wissenschaftliche Karriere?» «Wir haben wohl alle die naive Erwartung, dass wir die Welt verbessern können», meint SJF-Alumna Amélie Garrido. «Aber vielleicht ist das unmöglich.» Es sei sehr wohl möglich, antwortet Aebersold. Doch man könne wissenschaftliche Durchbrüche nicht planen und oft komme es auf viele kleine Schritte an. «Wie Puzzleteile», sagt Amélie. «Und jede Antwort führt zu mehr Fragen», fügt Aebersold hinzu. Ihn freut es, junge Menschen zu treffen, die sich von ihrer Neugier leiten lassen. Er selbst ist seiner Neugier in die Biologie gefolgt und wurde zu einem Pionier der Proteomik, wo er Proteine und deren Funktionen mit neuen Messverfahren untersucht hat. Das kann unter anderem helfen, Krankheiten besser zu verstehen und zu erkennen.
Auf dem Weg vom Workshop zur Preisverleihung machen die Alumni einen kleinen Spaziergang durch die Berner Altstadt. (Bild: Lara Gafner, WO)
Nach vier Runden werden die Fragen gesammelt, auf die es die spannendsten Antworten gab. Zwei der Alumni werden im Rahmen der feierlichen Preisverleihung am Abend das Mikrofon in die Hand nehmen und den PreisträgerInnen die ausgewählten Fragen noch einmal stellen.
Ein Fest für die Wissenschaft
Nach den ersten Ansprachen und musikalischen Einlagen ist es soweit: Der Olympiaden-Alumnus Philipp Burkhardt setzt sich im Saal des Berner Rathauses zu Rudolf Aebersold und Maryna Viazovska, um mit ihnen vor versammeltem Publikum über kleine Veränderungen in Zellen und grosse Fortschritte in der Wissenschaft zu sprechen. Später werden die Preisträger von 2021 von Ophélie Riviere interviewt. Die beiden haben sich freiwillig gemeldet, um während der Preisverleihung Fragen zu stellen. «Ich stehe gern auf der Bühne», meint Ophélie. Die Physikstudentin, die erfolgreich bei Schweizer Jugend Forscht und dem European Union Contest for Young Scientists teilgenommen hat, fühlt sich wohl an Anlässen, wo die Wissenschaft im Zentrum steht. Später beim Apéro will Philipp wissen, ob man ihm die Nervosität angemerkt habe. Die Antwort lautet: Kein bisschen. "Der Workshop und die Preisverleihung waren eine tolle Erfahrung", meint der Wirtschaftsstudent, bevor er mit dem Rektor der Universität Bern ein Gespräch über die Verantwortung der Wissenschaft anfängt.
Philipp Burkhardt interviewt Rudolf Aebersold und Maryna Viazovska während der Preisverleihung im Berner Rathaus (Bild: Lara Gafner, WO)
Die Frage, für welche Art von Forschung sie selbst vielleicht mal einen Preis gewinnen werden, können die meisten der jungen Talente noch nicht beantworten. Zu ungezähmt sind ihre Interessen, um vorauszusagen, wohin sie ihr Weg durch die Welt der Wissenschaft führen wird. «Vielleicht für einen Roboter», meint SJF-Alumna und Elektrotechnik-Studentin Aashi Kalra, die im Rahmen eines Fokusprojekts an der ETH Zürich eine Drohne entwickelt. Dann mischt sie sich mit einer Gruppe Alumni unter die Leute, um Alt-Bundesrat Schneider-Ammann anzusprechen: «Der hat auch Elektrotechnik studiert».
Alumni Joanne Castelmur, Anastasia Sandamirskaya und Aashi Kalra (Mitte) im Gespräch mit Martina Hirayama, Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation (Bild: Lara Gafner, WO)
Die Wissenschafts-Olympiade motiviert Jugendliche für die Wissenschaft mit Wettbewerben in Biologie, Chemie, Geographie, Informatik, Linguistik, Mathematik, Philosophie, Physik, Robotik und Wirtschaft. Schweizer Jugend Forscht ermöglicht jungen Menschen erste Erfahrungen in der Welt der Forschung. Zusammen mit der Schweizerischen Studienstiftung, die exzellente Studierende fördert, sorgen sie für eine vielseitige und international vernetzte wissenschaftliche Talentförderung in der Schweiz. Zu diesem Zweck werden die drei Organisationen vom SBFI unterstützt.