09.07.2024

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Mathys in der Welt der Mathe

Wenn man auf der Strasse an Mathys Douma vorbeigeht, würde man wahrscheinlich nicht vermuten, soeben dem ersten Schweizer IMO-Goldmedaillengewinner seit 17 Jahren begegnet zu sein. Der entspannte Jurassier entspricht nicht dem Stereotyp eines mathematischen Wunderkinds. Wer ist dieser junge Mann mit dem ansteckenden Lächeln? Volunteer Tanish Patil zeichnet ein Porträt.

Am 1. April 2023: Mathys Douma und Bora Olmez gewinnen an der Schweizer Mathematik-Olympiade (SMO) Gold für ihre beispiellosen Leistungen.

Am 22. Juli 1991 betrat die erste Schweizer Teilnehmerin an einer Internationalen Mathematik-Olympiade (IMO) - Bea Wollenmann, eines von nur 17 Mädchen, die in jenem Jahr teilnahmen - bei der Schlussfeier die Bühne und nahm eine Bronzemedaille entgegen. Bea war die erste von 110 Teilnehmenden, die in 33 Jahren Schweizer IMO-Teilnahme 78 Medaillen gewonnen haben. 

 

Etwa eine Milliarde Sekunden später, am 1. April 2023: Mathys Douma und Bora Olmez gewinnen an der Schweizer Mathematik-Olympiade (SMO) Gold für ihre beispiellosen Leistungen. Sie schliessen sich dem Schweizer Team an der 64. IMO in Japan an und Mathys gewinnt im Juli die zweite Goldmedaille für die Schweiz,nach der ersten im Jahr 2006. Eine Zeit, als "Hips Don't Lie" von Shakira an der Spitze der Charts stand und Mathys' Geburt in Delémont noch ein paar Monate entfernt war. 

 

Mathys' Eltern - seine Mutter stammt aus Frankreich und Benin, sein Vater aus Kamerun - haben sich in der Schweiz kennengelernt, wo sie beide medizinischen Berufen nachgehen. Als Kind nahm  Mathys so viele mathematische Gelegenheiten wahr, wie möglich. Er besuchte den Euler-Kurs, war beim Schweizerischen Mathematikspieleverband dabei und natürlich bei der SMO. "Ich fühle mich definitiv mehrheitlich als Schweizer, auch wenn mein Stammbaum Wurzeln in anderen Ländern hat", sagt er. Das Essen zu Hause ist oft "langweilig und schweizerisch", gibt er zu, obwohl er bekennt, dass er durch die Küche seiner Eltern auf den Geschmack von Ingwer gekommen ist. Nachdem Mathys während der IMO 2022 beim Konsum von Ingwer-Shots zum Frühstück beobachtet wurde, brachen unter den anderen Teilnehmenden Spekulationen lol, ob Ingwer das Geheimnis seines Erfolgs sein könnte. Er beteuert jedoch, dass sein Geheimnis eher "die Musik von Tom Rosenthal, frische Luft am Morgen und eine gute Nachtruhe" sei.

 

An der IMO lösen die Teilnehmenden während zwei Tagen insgesamt 6 Aufgaben in 9 Stunden. 2023 löste Mathys alle Aufgaben bis auf die schwierigste perfekt und erreichte damit als erster Schweizer 35 Punkte und den 28. Rang von über 600. Die erste Person, der er von seiner Goldmedaille erzählte, war seine Mutter. "Ich habe es ihr per E-Mail mitgeteilt... um es spannend zu machen!" 

Der erste Schweizer IMO-Goldmedaillengewinner seit 17 Jahren.

 

Vielen Teilnehmern fällt es schwer, ihren Freunden und ihrer Familie zu erklären, was sie bei der Mathematik-Olympiade eigentlich machen. Mathys würde die SMO als "interaktiver und persönlicher" als die Schule beschreiben: Statt Dinge auswendig zu lernen, "hat man ein paar wenige Regeln, und der Rest ist ein Sandkasten, in dem man spielen kann". Er schätzt es, viele verschiedene Freundeskreise mit unterschiedlichen Hintergründen zu haben: seine Freunde von der Mathe-Olympiade, seine Freunde aus dem Gymnasium und seine Freunde von anderen Olympiaden. Mathys nahm auch an der Schweizer Philosophie-Olympiade und der Internationalen Philosophie-Olympiade (IPO) teil. Zudem hat er Freunde aus anderen Disziplinen, die er bei Schweizer Jugend Forscht oder am OlyDay, dem jährlichen Abschlussfest der Wissenschafts-Olympiaden, kennengelernt hat.

 

Er gibt zu, dass es bei IPO einfacher war, Freundschaften zu schliessen als bei IMO. Er meint, dass "... ein kleineres Umfeld auch bedeutete, dass es vielleicht einfacher war, sich mit Leuten anzufreunden. Ich habe immer noch viele Freunde von der IPO, während es an der IMO aufgrund der grösseren Menschenmenge schwieriger sein kann, die Leute richtig kennen zu lernen." In der Tat hat er immer noch Kontakt zu vielen seiner philosophischen Freunde. An der IMO letztes Jahr in Japan traf er seinen japanischen Freund von der IPO wieder, der ihm Geschenke machte: "Origami, Schokolade - ich hatte also viele Glücksbringer für die Prüfung!". Er stimmt jedoch bereitwillig zu, dass seine Erfahrungen an der IMO in vielerlei Hinsicht auch besser waren - zum Beispiel waren "die Duschen im Hotel nicht kaputt!"

 

Mathys' Leidenschaften für Philosophie und Mathematik ergänzen sich in vielerlei Hinsicht, und er findet viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Disziplinen: "In der Philosophie schärft man seine Intuition zu einem rigorosen Instrument, was dem Vorgehen in der Mathematik sehr ähnlich ist. Der Hauptunterschied besteht vielleicht darin, dass es in der Mathematik in der Regel nur eine richtige Antwort gibt, während die Philosophie natürlich für mehrere Interpretationen offen ist - aber beide sind sehr kreativ."

 

Mathys an der IPO 2022 in Lissabon.

 

Mathys kann sich vorstellen, noch viele Jahre bei der SMO mitzuhelfen und würde gerne als Leiter an der IMO 2026 in China teilnehmen. Er unterrichtet gerne und ist der Meinung, dass die Art und Weise, wie Mathematik in den Lehrplänen der Sekundarstufe II behandelt wird, verbessert werden kann. Er plädiert dafür, den Schwerpunkt auf "Dinge zu legen, die nicht unbedingt rein mathematischer Natur sind, aber dennoch wichtig zu lernen sind - Problemlösefähigkeiten, das Finden von Gegenbeispielen, die Kunst des logischen Denkens an sich". Er fügt hinzu, dass jeder Mensch auf unterschiedliche Weise lernt und dass es keine Herangehensweise gibt, die für alle gleich gut passt. 

 

Freiwillige wie Mathys sind für die Schweizer Wissenschafts-Oympiaden unentbehrlich; über 400 Personen engagieren sich in ihrer Freizeit für die zehn Vereine. Viele ehemalige SMO-Teilnehmende helfen ehrenamtlich mit. Sie unterrichten, korrigieren, schreiben Prüfungen, begleiten die Teams an internationale Wettbewerbe und - vielleicht das Wichtigste - bekochen und betreuen die Jugendlichen im Lager.

 

Die Frage, ob junge Talente wie er die Pflicht haben, ihr Wissen an die nächste Generation weiterzugeben, bringt Mathys ins Grübeln. Er ist der Meinung, dass "...Leute, denen es bei der SMO gefallen hat, sich sowieso freiwillig engagieren, oder?" und findet es wunderbar, dass sich dies ganz von selbst ergibt. Zur allgemeineren Frage, ob sich herausragende Köpfe der Forschung widmen sollten - anstatt ihre gefragten Fähigkeiten zum Beispiel der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen - argumentiert er, dass die Menschen eine Verantwortung haben, die Gesellschaft und das Leben der Menschen um sie herum zu verbessern, dass dies aber auch ausserhalb ihrer regulären Arbeit geschehen kann. 

 

Mathys ist sich auch der gesellschaftlichen Ungleichheiten bei Mathematik-Olympiaden bewusst. Letztes Jahr bei der IMO waren nur 67 von 618 Teilnehmern weiblich. Nur 13 von 112 teilnehmenden Ländern waren afrikanische Staaten, und keines von ihnen schaffte es in die Top 50. Mathys unterhielt sich mit dem stellvertretenden Leiter von Kamerun, als das Land 2023 zum ersten Mal teilnahm, und er ist gerne bereit, die Entwicklung der  Mathematik-Olympiaden auf dem Kontinent nach Möglichkeit zu unterstützen, auch wenn er hinzufügt, dass "(...) es ein Anliegen ist, dass nicht mehr oder weniger wichtig ist, als viele andere Anliegen". 

Mathys erhält am OlyDay 2023 den Preis für die beste internationale Einzelleistung.

 

Mathys sieht sich als Schweizer, aber er ist auch stolz auf all das, was ihn hervorhebt, von seiner Hautfarbe bis hin zu seinem Aktivismus. Er geniesst die Multikulturalität der Mathematik-Olympiade und die Diversität ihrer Teilnehmenden. Mathys hat auch schon Erfahrungen mit Vorurteilen gemacht, ist aber der Meinung, dass der beste Weg, damit umzugehen, darin besteht, mit Klischees zu brechen. Seiner Meinung nach ist es das Wichtigste, es einfach zu versuchen: "Wenn es jemand vor dir geschafft hat, dann weisst du, dass es möglich ist". Er betont jedoch, dass die Menschen auch Vorbilder brauchen, um sie zu ermutigen, etwas Neues auszuprobieren. Vielleicht kann er für einige der Teilnehmenden, die er als Freiwilliger trifft, genau das sein. 

 

Nächstes Jahr wird Mathys sein Bachelorstudium in Mathematik an der EPFL abschliessen, danach will er eine Pause einlegen, um die Welt zu sehen. Er hofft auch, bei der Durchführung der IMO in der Schweiz mithelfen zu können. Was seine eigene Karriere betrifft, so macht er nur wenige Vorhersagen, da er die vielen Möglichkeiten, die es gibt, in Ruhe erkunden möchte. "Die Welt ist gross und es gibt eine Menge zu tun", sagt er. Oder, wie einer seiner Lieblingstextzeilen von Tom Rosenthal lautet: “Don’t die curious!”

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Über den Autor: Tanish Patil schreibt Newsletter, unterrichtet Kombinatorik und bereitet im SMO-Lager Pouletflügeli zu. Er ist der Ansicht, dass sich die für diese drei Aufgaben benötigten Fähigkeiten stark überschneiden.

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