"Ich appelliere an alle Berufsschulen, über die Wissenschafts-Olympiaden zu informieren"
Mauro Baumann hat am nationalen Finale der Philosophie-Olympiade als erster Berufsschüler eine Medaille gewonnen und im Fach Wirtschaft sogar Bronze auf internationaler Ebene geholt. Am OlyDay erhielt er den Preis "Beste interdisziplinäre Leistung auf nationaler Ebene". Was ihn von vielen anderen Teilnehmenden unterscheidet: Er geht nicht aufs Gymnasium, sondern macht eine Lehre. In diesem Artikel geht Mauro der Frage nach, warum Berufslernende bei den Wissenschafts-Olympiaden eher selten sind und wie man das ändern könnte.
Mauro Baumann präsentiert am OlyDay seine Urkunde für den Preis "Beste interdisziplinäre Leistung auf nationaler Ebene" (Bild: Claudia Christen).
Laborant*innen machen es vor: Drei von vier Mitgliedern der Schweizer Delegation an der Internationalen Chemie-Olympiade 2023 kamen aus der Berufsbildung. (Bild: Luca Ferrari, IChO 2023)
Mauro (zweiter von rechts) als Mitglied der Schweizer Delegation an der Internationalen Wirtschafts-Olympiade 2023. (Bild: Schweizer Wirtschafts-Olympiade)
Alleine unter Gymnasiast*innen, dennoch mit Victory-Geste: Mauro Baumann beim Abschlussessen der Philosophie-Olympiade (ganz hinten). (Bild: Lara Gafner, Philosophie-Olympiade)
Im Jahr 2006 wurde die Schweizer Philosophie-Olympiade ins Leben gerufen. Erst dieses Jahr hat zum ersten Mal ein Berufsschüler eine Medaille gewonnen. Liegt das daran, dass wir als Lehrlinge nicht gut genug sind? Sicherlich nicht. Natürlich kommen wir nicht in den Genuss von Philosophieunterricht, aber der ist auch nicht nötig, um einen guten Essay zu schreiben.
Auf den Spuren der Neugierde
Das habe ich bei der diesjährigen Philosophie-Olympiade selbst bewiesen. Meine Essays brachten mich bis ins Finale und brachten mir eine Bronzemedaille ein. Dann erfuhr ich, dass ich der erste Berufsschüler überhaupt war, der eine Medaille gewonnen hat. Ein Schockmoment für mich und doch nicht allzu überraschend. Aber war das reines Glück oder haben Berufslernende bei den Wissenschafts-Olympiaden generell eine Chance auf Erfolg?
Ich wollte es herausfinden und beschloss, auch an der Schweizer Wirtschaft-Olympiade teilzunehmen, wo ich Gold gewann und die Schweiz an der Internationalen Wirtschafts-Olympiade vertrat, die ich mit einer Bronzemedaille verliess. Ich schloss das erste Jahr meiner Teilnahme an den Wissenschafts-Olympiaden mit einem Preis für die beste interdisziplinäre Leistung ab, was bedeutet, dass ein Berufsschüler bezüglich der Leistung über mehrere Fächer hinweg mehr als 7'000 Mitstreiter*innen in den Schatten stellte. Also ja, es stellt sich heraus, dass das möglich ist.
Yannik Straumann, der es 2022 ans internationale Finale geschafft hat, gibt Tipps für die Teilnahme an der Chemie-Olympiade. 2023 hatten sogar drei Viertel der Schweizer IChO-Delegation einen Berufsbildungs-Hintergrund und auch bei der Biologie-Olympiade sind immer wieder Berufslernende dabei. Mauro Baumann zeigt: Die Wissenschafts-Olympiaden sind nicht nur für Laborratten und Pipettenprofis interessant.
Austausch – mangelhaft, aber essentiell
Dass vor mir noch kein Lehrling eine Medaille bei der Philosophie-Olympiade gewonnen hat, liegt wohl daran, dass sich nur wenige die Mühe gemacht haben, daran teilzunehmen. Dabei wäre es so wichtig, dass Berufslernende an genau solchen Wettbewerben teilnehmen. Mehr Austausch zwischen Gymnasiast*innen und Lehrlingen ist absolut notwendig. In meiner regulären 3-jährigen Banklehre ist das überhaupt nicht vorgesehen. Wollen wir unsere Gesellschaft wirklich so früh und auf diese Weise aufteilen?
Da ich meine schulischen Bemühungen nicht nur auf die Banklehre beschränke, sondern meine Freizeit für die Teilnahme an vielen Veranstaltungen, Workshops und Wettbewerben nutze, weiss ich, was für tolle Sachen dabei herauskommen, wenn sich Berufslernende und Gymnasiast*innen treffen. Beide können nicht nur viel voneinander lernen, sondern es entstehen auch viele Freundschaften, Möglichkeiten und gute Gespräche. Das kann ich sagen, nachdem ich bei Dutzenden von Veranstaltungen in ganz Europa der einzige Berufsschüler war.
Meiden Berufslernende die Olympiaden?
Um zu erklären, warum nur wenige Berufslernende an den Wissenschafts-Olympiaden teilnehmen, schlage ich vor, folgende Überlegungen in Betracht zu ziehen:
Die Olympiaden werden weder in den Berufsschulen noch in den Lehrbetrieben beworben.
Berufslernende haben keinen zusätzlichen Anreiz, an einer Olympiade teilzunehmen. Sie müssen sogar ihre wenigen Urlaubstage dafür aufwenden.
Berufslernende fürchten, gegen die eher akademisch orientierten Gymnasiast*innen keine Chance zu haben.
Berufslernende meiden die Olympiaden nicht aktiv. Die Hürden für die Teilnahme sind einfach zu hoch. Vor allem ist es schade, dass wenige Lehrlinge überhaupt von den Olympiaden wissen.
Berufsschulen könnten die Veränderung bringen
Die Förderung der Olympiaden wäre in erster Linie die Aufgabe der Berufsschulen. Eine Aufgabe, die sie akum wahrnehmen. Liegt das vielleicht daran, dass die Berufsschulen selbst nicht von den Olympiaden wissen? Hier ist Aufklärungsarbeit gefragt, aber von wessen Seite? Ich appelliere an alle Berufsschulen, über die Wissenschafts-Olympiaden zu informieren. Als Preis winken Ruhm, Ehre und eine engagiertere Schülerschaft.
Die Teilnahme muss sich lohnen
Die Reduktion von dreizehn Urlaubswochen auf weniger als die Hälfte pro Jahr ist nicht der schönste Aspekt des Einstiegs in eine Berufslehre. Wenn man dann einem Lehrling sagt, er solle seine wertvollen Ferientage für einen akademischen Wettbewerb verwenden, erntet man wahrscheinlich zurecht einen fragenden Blick. Ausnahmefälle wie der meine sind wohl eher selten, die Mehrheit der Berufslernenden würde viel lieber noch ein paar Tage länger am Strand verbringen.
Jeder Ausbildungsbetrieb, der es mit der Nachwuchsförderung ernst meint, sollte deshalb zusätzliche freie Tage für die Teilnahme an den Wissenschafts-Olympiaden gewähren. Zumindest für die Finalrunden. Die Kosten dafür sind gering, aber der Nutzen sind Ansehen (kostenloses Marketing) und die Förderung von Fähigkeiten bei den eigenen Lehrlingen (beispielsweise in Bezug auf ihr Netzwerk, ihr Fachwissen, ihre Menschenkenntnis und Offenheit…).
Das könnte der Beginn von etwas Grossem sein
Meine Leistung bei den diesjährigen Wissenschafts-Olympiaden hat wahrscheinlich eher symbolischen Wert. Aber es könnte der Beginn einer grossen Veränderung im dualen Ausbildungssystem sein. Werden sich Berufslernende und Gymnasiast*innen stärker austauschen, oder werden sie weiterhin in ihren Bubbles bleiben? Ersteres zu ermutigen kann nur von Vorteil sein. Um hier Fortschritte zu erzielen, müssen wir zusammenarbeiten. Ich bin gespannt, ob wir tatsächlich etwas bewirken können, und sage, dass wir diese Chance nicht verpassen sollten.
Was meinen Sie dazu? Kontaktieren Sie mich mit Fragen, Gedanken oder Vorschlägen. Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung.