10.09.2019

Chancengerechtigkeit

Empfehlungen für eine gendergerechte Bildung bei der Wissenschafts-Olympiade

Spielt das Geschlecht unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Rolle für ihren Erfolg bei den Wissenschafts-Olympiaden? Wie gendergerecht sind wir und was können wir für eine gendergerechte Bildung tun? Unser neu erstelltes Konzept zeigt Handlungsspielräume auf.

Nicht immer ist die Geschlechterverteilung so ausgeglichen, wie in der diesjährigen Schweizer Delegation der Geographie-Olympiade. Bild: Wissenschafts-Olympiade

Wie sieht unsere Geschlechterverteilung aus?

Unsere Datenbank zeigt, dass Teilnehmerinnen insbesondere in den naturwissenschaftlichen und technischen Olympiaden untervertreten sind (sogenannte MINT-Fächer; Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). In der Philosophie- und Biologie-Olympiade hingegen sind männliche Teilnehmer über die letzten 14 Jahre gesehen leicht in der Unterzahl.

Quelle: Datenbank der Wissenschafts-Olympaide, Jahre 2005-2019

Gemäss einer Umfrage (siehe weiter unten) besuchen rund 75% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den MINT-Olympiaden (Biologie, Chemie, Geographie, Informatik, Physik und Robotik) ein entsprechendes gymnasiales Schwerpunktfach, wie zum Beispiel Physik und Angewandte Mathematik. Ein Blick in die gymnasialen Schulklassen und deren Geschlechterverteilung lohnt sich:

Quelle: Datenbank der Wissenschafts-Olympiade und Bundesamt für Statistik

Die Frauenanteile der Schwerpunktfächer und unseren Olympiaden ähneln sich stark. Dies spricht für die Annahme, dass wir junge Frauen und Männer aus den MINT-Schwerpunktfächern gleichermassen erreichen und für eine Teilnahme bei der Wissenschafts-Olympiade motivieren können. Die Geschlechterverteilung an nationalen Finals und internationalen Wettbewerben zeigt jedoch, dass wir uns nicht auf guten Frauenanteilen in der ersten Runde ausruhen können: Je weiter der Wettbewerb der Olympiaden fortschreitet, desto weniger junge Frauen bleiben im Rennen (siehe erste Graphik).

Was streben wir an?

Im Rahmen des Projektes "Chancengerechte Bildung" haben wir uns zum Ziel gesetzt, den Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf die Teilnahme- und Erfolgschancen zu minimieren. Alle Jugendlichen sollen unabhängig von Geschlecht, Sprache, Herkunft etc. die Chance haben, bei der Wissenschafts-Olympiade teilzunehmen und erfolgreich zu sein.

Für den Zweck der Frauenförderung haben wir vom Schweizer Nationalfonds finanzielle Unterstützung erhalten. Wir haben empirische Daten erhoben, um so unsere Gendergerechtigkeit zu analysieren. Die Geschlechterverteilungen konnten wir dank den rund 20'000 Einträgen in unserer Datenbank beurteilen. 291 ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Olympiaden-Jahres 2017/2018 haben eine von uns erstellte Umfrage ausgefüllt und ihre Erfahrungen mit uns geteilt. In Interviews mit sechs jungen Frauen der Mathematik- und Informatik-Olympiade haben wir zusätzlich erfahren, wie sie ihre Teilnahme an exklusiven Frauen-Angeboten erlebt haben. 

Was hat unsere Analyse ergeben?

Die Mehrheit der Jugendlichen (96.9%) geben in der Umfrage an, dass ihr Geschlecht bei der Wissenschafts-Olympiade keine Rolle spielt. Dies kann erklären, weshalb sich 81,8% der befragten Jugendlichen keine zusätzlichen Olympiaden-Angebote exklusiv für das eigene Geschlecht wünschen. Die interviewten Frauen hingegen möchten die Erfahrung der Frauen-Angebote keinesfalls missen und schätzen die Möglichkeit, sich mit anderen Teilnehmerinnen auszutauschen und weibliche Vorbilder zu finden. Gesellschaftlich geprägte Vorstellungen, wie zum Beispiel die des männlichen Naturwissenschaftlers, werden dank solchen Angeboten ins Wanken gebracht. Eine gendergerechte Bildung bei der Wissenschafts-Olympiade muss jedoch beachten, dass gut gemeinte, geschlechterspezifische Förderung das Bild von förderbedürftigen Frauen vermitteln und diese somit stigmatisieren kann. Des Weiteren hat die Umfrage ergeben, dass unser Wettbewerbsformat Teilnehmerinnen weniger zur Teilnahme motiviert als Teilnehmer.

Was können wir tun?

Wie kann unser Wettbewerb alle Geschlechter ansprechen? Wie können wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer fördern, ohne sie zu stigmatisieren? Wie können wir stereotypische Geschlechtervorstellungen herausfordern und Rollenmodelle aus der Wissenschaft für alle Jugendlichen anbieten? Im Austausch mit Fach-Expertinnen und Experten aus den Erziehungswissenschaften und den Freiwilligen der Olympiaden haben wir Antworten auf diese Fragen gefunden. Diese sind als konkrete Handlungsempfehlungen für eine gendergerechte Wissenschafts-Olympiade in unserem Gender-Konzept nachzulesen.

Mehr zum Thema:

Zur Autorin: Nicole Schäfer ist Erziehungswissenschaftlerin und arbeitet seit September 2018 als Koordinatorin bei der Wissenschafts-Olympiade. Sie leitet das Projekt "Chancengerechte Bildung" und freut sich auf Ihre Rückmeldungen.

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