27.01.2022

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Let's Talk: Mit lieben Grüssen von der Erde

Wenn du Grüsse ins All schicken könntest, wie sähen diese aus? In den 1970er Jahren hat man sich für eine Platte mit Zeichnungen nackter Menschen, Walgeräuschen und Rockmusik entschieden.
[Translate to English:] Wissenschafts-Olympiade Weltraum Platte

[Translate to English:] Fotomontage von Luc Schnell, Originalbilder von Joe Vasquez und NASA auf Unsplash.

Ich entdecke die Plakette im Juni 2021. Als die Museen in Paris nach dem Lockdown wieder öffnen, nutze ich einen freien Abend und besuche das Muséum national d’histoire naturelle. Ich bestaune eine ausgestopfte Variante der Arche Noah. Ist der springende Punkt der Geschichte nicht, dass die Tiere lebend sein müssen? Schliesslich stosse ich im dritten Stock auf die Botschaft. Sie stammt von der Menschheit, aus den 1970ern. 

 

Vor mir liegt eine Kopie der sogenannten Pioneer-Plakette. Sie besteht aus Metall und ist ungefähr so gross wie ein A5-Blatt. Vor 50 Jahren hat man sie an die Raumsonden Pioneer 10 und 11 angebracht. Sie war eine Art Postkarte der intelligenten, irdischen Lebensformen an intelligente, ausserirdische Lebensformen, die vielleicht auf die Raumsonde warten würden. 

 

Ich mache mich daran, die Plakette zu entschlüsseln. Auf der rechten Seite stehen ein Mann und eine Frau vor einer schematischen Darstellung der Pioneer-Sonde. Beide sind nackt, der Mann hat die rechte Hand zum Gruss erhoben. Die Frau steht passiv da. Weiter unten ist das Sonnensystem mit den Planeten eingraviert. Ein Pfeil deutet an, von wo aus die Raumsonde gestartet ist. 

 

Dann komme ich ins Stocken. Zum Entschlüsseln der restlichen zwei Darstellungen ist meine Lebensform, obschon mit dem irdischen Leben nicht gänzlich unvertraut, dann doch zu primitiv. Ich sehe zwei Diagramme, die an Uhren erinnern, und zahlreichen Linien, die von einem Punkt aus strahlenförmig auseinander gehen. 

 

Die Pioneer-Plakette. Credits: NASA

 

Zu Hause lese ich nach, dass die Uhren in Wirklichkeit Wasserstoffatome mit unterschiedlichen Spin-Zuständen sind und über den Hyperfeinstrukturübergang sowohl eine Längeneinheit (Wellenlänge, 21 cm) als auch eine Zeiteinheit (Frequenz, 7.04 ns) definieren. Diese Einheiten werden in binärer Darstellung auf der ganzen Platte verwendet. Die strahlenförmigen Linien beschreiben die Position der Sonne im Vergleich zum Zentrum der Galaxie und zu 14 Pulsaren. Über sie kann man die Position der Sonne und den Zeitpunkt des Aussendens der Raumsonde berechnen (da die Frequenzen der Pulsare mit der Zeit abnehmen). 

 

Ich versinke immer mehr im Treibsand der Wikipedia-Artikel und erfahre, wie kurios die ganze Geschichte ist. Die Idee, eine Nachricht an den Pioneer-Sonden anzubringen, entstand erst kurz vor dem Start. Innerhalb von 3 Wochen musste die Plakette fertig sein.  Das könnte mit ein Grund sein, weshalb viele Forschende das Endprodukt nicht verständlich fanden.  Kritiker fanden zudem, dass die Hand des Mannes als Drohbotschaft interpretiert werden könne. Und warum nimmt der Mann genau eine aktive Position ein, während die Frau neutral dasteht? Auch die kaukasisch hellen Haare der abgebildeten Personen und ihre Nacktheit gaben zu reden. Obwohl die Geschlechtsorgane nach dem Vorbild des antiken Griechenlands in einem minimalistischen Stil dargestellt wurden, waren sie vielen irdischen Betrachter:innen zu explizit. Die damaligen Zeitungen drucken sie nur zensiert ab.  Andere wiederum stören sich daran, dass die weiblichen Geschlechtsorgane weniger explizit ausgearbeitet waren als die männlichen. Dies verstärke die Ungleichheit in der Repräsentation der Geschlechter weiter. 

 

Serie Let's talk. Die Wissenschafts-Olympiade bringt junge Menschen aus allen Ecken der Schweiz zusammen. Sie spricht also mehr als drei Sprachen. Wie funktioniert das? Und: Wie reden eigentlich die Wissenschaften? Und was sagt unser Körper? In unserer Serie “Let’s talk” lernst du viele Facetten des Themas “Sprache” kennen. So begrüssen wir auch die neueste Wissenschafts-Olympiade, die Linguistik-Olympiade. 

 

Mich überkommt langsam das Gefühl, dass die Details und Hintergrundgeschichten der Plakette vielleicht mehr über die menschliche Zivilisation der 1970er aussagen, als die intendierten Botschaften selbst. Umso erfreuter war ich, als ich erfuhr, dass es eine zweite Auflage der Plaketten gab, deren Hintergrundgeschichte nicht weniger kurios ist.  Auch der Raumsonde „Voyager 2“, die vier Jahre nach der Pioneer-Mission startete, wurde eine Botschaft der Menschheit mitgegeben. Diesmal in Form von goldenen Schallplatten. Nebst Darstellungen sollte sie die Aliens auch mit mit Bildern und Audios beglücken. 

 

Die Geschlechtsteil-Problematik wurde diesmal elegant umgangen. Die menschlichen Körper wurden nur noch als Umrisse dargestellt. Damit mag der Informationsgehalt für extraterrestrische Empfänger etwas abgenommen haben. Dafür mussten sich die Sittlichkeits-bewussten Erdbewohner nicht mehr über die nackte Darstellung ihrer Art empören. Ein relevanter Fortschritt im Vergleich zur ersten Plakette war, dass die Geschlechter nun egalitär dargestellt und auf den Fotos Menschen unterschiedlicher Ethnien abgebildet wurden.

 

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Allerdings taten sich ganz neue Probleme auf, weil es nun auch möglich war, Audiospuren zu senden. Der Wissenschaftler Carl Sagan wollte den Rock-Hit „Jonny B. Goode“ von Chuck Berry auf der Platte berücksichtigen. Der Folk-Musiker Alan Lomax war dagegen. Rockmusik sei zu adoleszent. „Es gibt viele Adoleszente auf dem Planeten“, soll Carl Sagan geantwortet haben. Auch der Song „Here Comes the Sun“ stand zur Diskussion. Die Beatles waren einverstanden, allerdings verfügten sie nicht über die Rechte des Liedes und mussten deshalb auf ihr Plattenlabel verweisen. Dieses verlangte 50’000 USD pro Platte, während sich das Budget der NASA für das Projekt insgesamt auf 18’000 USD belief. So wurde der Song schliesslich nicht berücksichtigt. Was aber immerhin extraterrestrische Empfänger vor einem Raubkopie-Prozess bewahrt haben könnte.

 

Weniger rechtliche Probleme gab es da bei den Walgeräuschen. Der Biologe Roger Payne steuerte einen Wal-Gruss bei, den er an der Bermuda-Küste aufgenommen hatte. Da Aliens vielleicht mehr aus dem Walgesang heraushören könnten als wir Menschen, wurden längere Stücke hinter die gesprochenen Grussbotschaften der Menschen gemixt. Von einem Bandbreiten-Standpunkt soll das sehr gut funktioniert haben, kann man in Interviews nachlesen, die Walklänge interferierten kaum mit den menschlichen Botschaften und man kann den ganzen Walsong extrahieren, wenn man denn darin interessiert sein sollte. Das scheint auch besser so, wäre es doch beklagenswert, wenn die inspirierende Botschaft des US-Präsidenten Jimmy Carter den Balzklängen eines Buckelwales zum Opfer gefallen wären. 

 

Irgendwann beginne ich mich zu fragen, wie ich als Empfänger dieser Grussbotschaften aus den 70er reagieren würde. Es scheinen doch einige Probleme in dieser Gesellschaft vorhanden zu sein und es ist fragwürdig, ob ein Kontakt zu einer neuen Zivilisation die Probleme lösen würde. Der Kontakt könnte zudem auch für die Empfänger als nicht wünschenswert erachtet werden. Ich würde deshalb auf die Lösung verweisen, die von der US-amerikanischen Comedy-Sendung „Saturday Night Live“ vorgeschlagen wurde. In einem Sketch antworten die Aliens den Menschen auf ihre Grussbotschaften. Mit exakt vier Wörtern:



„Sendet mehr Chuck Berry.“

 

Text: Luc Schnell, Physik-Olympiade. Luc ist Doktorand in theoretischer Teilchenphysik am Max-Planck-Institut für Physik. Er führt seinen eigenen Blog auf meonworld.com. In seiner persönlichen Grussbotschaft würde er auch die adoleszenten Wale berücksichtigen. Weitere Texte von Luc: Hitparade der Physik-MedienQuanten-Elektrodynamik auf vier Schwierigkeitsstufen

 

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